WITH YOU*TH

Wer bin ich?

Besonders in unserer immer schnelllebigeren und digitalisierten Welt benötigen Jugendliche Raum und Zeit, sich mit dem auseinanderzusetzen, was man unter Identität/en zusammenfassen kann. Der Begriff beinhaltet in erster Linie ein Sich-Selbst-Verstehen, das durch verschiedene Voraussetzungen und äußere Einflüsse entstehen kann und das Bild, das Menschen von sich haben, prägt. Dabei handelt es sich keineswegs um einen abgeschlossenen Prozess, sondern einen sich stetig wandelnden, der bis ans Lebensende andauert.

Gerade in der Adoleszenz geht es darum, Jugendliche bei der Findung einer stabilen Identität zu unterstützen, die ein positives Heranwachsen zulässt, und Lebensentwürfe aufzuzeigen, die realistisch und umsetzbar sind.

Neben zahlreichen Einflüssen, darunter unter anderem religiöse oder familiäre Identitäten, spielen Geschlechteridentität/en eine zentrale Rolle für das Sich-Selbst-Verstehen von Menschen. Dabei müssen eigene Wünsche, gesellschaftliche Normen, familiäre Erwartungen, mediale Einflüsse und ökonomische Möglichkeiten austariert und miteinander in Einklang gebracht werden – ein herausforderndes Unterfangen, das störungsanfällig ist und mitunter zur Abwertung der eigenen Person und/oder anderer führen kann. Denn die Herausbildung einer eigenen Identität geht mit der Unterscheidung von und in Abgrenzung zu anderen Identitäten einher und kann, wenn diese kein positives Fundament hat, auch mit der Herabsetzung des „Anderen“ verknüpft werden. Insbesondere der Bereich Geschlechterstereotype ist von dieser aus einem Vergleich abgeleiteten Abwertung geprägt. Wird zum Beispiel davon ausgegangen, dass Buben besser in Mathematik sind, beinhaltet dies, dass Mädchen weniger gut sind. Solche Bilder prägen und können eigene Realitäten schaffen, die beispielsweise begabte und interessierte Mädchen davon abhalten, ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Tiefsitzende sexistische Haltungen Mädchen und Frauen gegenüber, wie sie zum Beispiel in vielen Mainstream-Raptexten zumeist männlicher Rapper zu hören sind, beeinflussen sowohl die Haltungen von männlichen als auch von dieser Gewalt betroffenen weiblichen Jugendlichen und verhindern die Entwicklung von Beziehungen auf Augenhöhe.

Auch führt ein starres System ausschließender Zweigeschlechtlichkeit dazu, dass beispielsweise trans Jugendliche in ihren Lebensrealitäten nicht anerkannt, sondern abgewertet und diskriminiert werden. Die gesellschaftlich und medial fest verankerte Heteronormativität geht neben Diskriminierungen mit einem Unsichtbarmachen von Vielfalt und dem Fehlen von positiven Identifikationsmöglichkeiten abseits dieser Vorstellungen einher. Heterosexuelle Normvorstellungen von Beziehungen schließen davon abweichende aus und erschweren es Jugendlichen, für sie wichtige Beziehungen zu leben.

Wir müssen uns daher fragen, warum Jugendliche solche einengenden Identitätsangebote für sich annehmen, ob sie das tatsächlich wollen oder dies unhinterfragt geschieht, und was wir tun können, um Uneindeutigkeiten und Vielfalt und somit letztlich individuellen Freiheiten mehr Möglichkeiten und Raum zu geben. Die Methoden zur Selbstreflexion sollen ein Baustein dazu sein, sich in einem festgelegten Zeitrahmen mit relevanten Fragen der Selbstfindung zu befassen und im Sprechen und Tun gemeinsam mit den Jugendlichen Schritte hin zu einer Gesellschaft zu setzen, in der die eigene Geschlechteridentität mit anderen gleichberechtigt und selbstbestimmt gelebt werden kann.


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Heteronormativität beschreibt den Zustand, dass Heterosexualität, also die Anziehung zu dem „anderen” binären Geschlecht, als Norm wahrgenommen wird. Heterosexuelle Menschen gelten daher als „normal”, während nicht-heterosexuelle Menschen als Abweichung von der Norm wahrgenommen werden.1


  1. Teo, Thomas, editor. Encyclopedia Of Critical Psychology, Springer, 2014, https://doi.org/10.1007/978-1-4614-5583-7_134.

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*Trans steht für transgender und ist ein Schirmbegriff für Personen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. mehr…