Durch (fehlende) Repräsentationen und (Un-)Sichtbarmachung im öffentlichen Raum manifestieren sich gesellschaftliche vergeschlechtlichte Geschichtsschreibung und (Erinnerungs-)Kultur. Stadtspaziergänge bieten daher eine hervorragende Möglichkeit, sich mit patriarchalen Darstellungspraxen sowie marginalisierter bzw. abwesender Kultur- und Stadtgeschichte auseinanderzusetzen.
Als Pionierin für feministische Stadtspaziergänge in Wien ist die Begründerin der „Wiener Frauen*Spaziergänge“ Petra Unger1 zu nennen. In diesen erzählt Petra Unger nicht nur „die Geschichte(n) der Frauen* Wiens in zahlreichen Bezirken der Stadt“, sondern verbindet Historie mit Gegenwart und lässt „besondere Frauen*Räume sichtbar werden“2.
Der hier konzipierte Spaziergang durch Wien (sechs Stationen im 1. Bezirk, eine im daran angrenzenden 9. Bezirk) fokussiert gemäß des Schwerpunktes „Ich plan’ mein Leben: Geschlechternormen, Einkommen und Unabhängigkeit“ auf die Themen Macht und Geld, (Aus-)Bildung und Beruf sowie selbständiges Handeln und Empowerment im ökonomischen Kontext.
Informationen zu Petra Unger und ihren Spaziergängen sind ihrer Hompage unter https://frauenspaziergaenge.at/petra-unger/ zu entnehmen.↩
Homepage Petra Unger, Rubrik „Über“: https://frauenspaziergaenge.at/about/↩
Denkmal für Charlotte Bühler (1893–1974) im Arkadenhof der Universität Wien: deutsche Psychologin und Begründerin der modernen Entwicklungspsychologie, 1927 bis 1938 außerordentliche Professorin an der Universität Wien, 1938 Flucht vor dem Nationalsozialismus, Mitbegründerin und Präsidentin (1965/66) der „American Association for Humanistic Psychology“1;
Vgl. Universität Wien: 650 plus – Geschichte der Universität Wien: Charlotte Bühler: https://geschichte.univie.ac.at/de/charlotte-buehler↩
Der Stadtspaziergang kann mit unterschiedlich großen bzw. kleinen Gruppen durchgeführt werden. Ideal ist eine Teilnehmer*innenanzahl bis 12 Personen. Bei größeren Gruppen empfiehlt es sich, eine zweite Begleitperson mitzunehmen.
Eingangsportal der Oesterreichischen Nationalbank
Es empfiehlt sich, den Stadtspaziergang im Vorfeld tatsächlich einmal zu „begehen“, einerseits um die Stationen dann auch zu finden, andererseits um Distanzen und Wege zu erkunden und zu entscheiden, welche Strecken zu Fuß oder eventuell doch mittels öffentlicher Verkehrsmittel zurückgelegt werden sowie die zur Verfügung stehende Zeit entsprechend einzuteilen.
Der hier vorgestellte Spaziergang enthält sieben Stationen. Je nach Zeit und Gruppe kann auch eine Auswahl getroffen werden.
Die einzelnen Stationen werden gemeinsam mit den Teilnehmer*innen besucht und vor Ort über diese gesprochen. Dabei ist es wichtig, nicht nur Grundinformationen zu vermitteln, sondern den jeweiligen Schauplatz thematisch zu kontextualisieren und in Zusammenhang mit dem oben genannten Themenkomplex zu bringen. So kann die Diskussion vor Ort etwa auch mit folgenden Fragen begonnen werden:
Was siehst du? Was seht ihr?
Wer wird dargestellt? Was steckt dahinter?
Warum glaubt ihr wurde dieses Gebäude/Denkmal errichtet?
Wann wurde es errichtet und wofür steht es?
Was hat die hier repräsentierte/dargestellte Person in ihrem Leben gemacht? Inwiefern hat das Einfluss auf uns heute?
Was sagt euch die Inschrift des Denkmals?
Denkmal für Berta Karlik (1904–1990) im Arkadenhof der Universität Wien: Physikerin, Studium der Mathematik und Physik an der Universität Wien, später dort wissenschaftliche Tätigkeit, auch während des Zweiten Weltkrieges. Sie entdeckte drei Isotope des Elements 85 und schloss damit die letzte Lücke im Periodensystem. 1973 wurde sie als erste Frau vollwertiges Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Seit 2011 exisitert das Berta-Karlik-Programm der Universität Wien zur Förderung von exzellenten Wissenschafterinnen. Im 13. Wiener Gemeindebezirk ist eine Gasse nach ihr benannt.1
Vgl. Universität Wien: 650 plus – Geschichte der Universität Wien: Berta Karlik: https://geschichte.univie.ac.at/de/berta-karlik↩
Eine umfangreiche Auseinandersetzung mit den einzelnen Stationen ist in der Vorbereitung unumgänglich. Die hier gebotenen Kurzinformationen dienen als inhaltlicher Einstieg:
Oesterreichische Nationalbank (OeNB):
Die Oesterreichische Nationalbank ist die Zentralbank der Republik Österreich und Mitgestalterin der wirtschaftlichen Entwicklung in Österreich und im EU-Währungsgebiet.
1990 wurde Maria Schaumayer (1931–2013) zur Präsidentin der Oesterreichischen Nationalbank bestellt. Sie war damit damals die erste Frau weltweit, die an der Spitze einer Notenbank stand, und blieb bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 1995 in diesem Amt. 1991 entstand die Dr. Maria Schaumayer-Stiftung, deren Ziel ist: „Die Stiftung dient allein wissenschaftlichen Zwecken, wobei die Förderung von Frauen für Führungspositionen, insbesondere aufgrund hervorragender wissenschaftlicher Leistungen im Mittelpunkt steht.“1
Bis heute sind Frauen in der Oesterreichischen Nationalbank nach wie vor stark unterrepräsentiert.2
„Der Muse reicht’s“
Leistungen von Frauen werden häufig unsichtbar gemacht, auch in der Wissenschaft und der damit einhergehenden Repräsentationspraxis und Erinnerungskultur. Das Projekt „Der Muse reicht’s“ wurde 2009 von der Künstlerin Iris Andraschek umgesetzt und weist mit ihrem überdimenisonalen weiblichen Schatten auf diesen Missstand hin.
Die Inschrift zu diesem Kunstwerk lautet:
ERINNERUNG AN DIE NICHT STATTGEFUNDENEN
EHRUNGEN VON WISSENSCHAFTERINNEN
UND AN DAS VERSÄUMNIS, DEREN LEISTUNGEN
AN DER UNIVERSITÄT WIEN ZU WÜRDIGEN.3
Denkmäler für Wissenschafterinnen
Lange Zeit befand sich unter den 154 Denkmälern, die Persönlichkeiten der Wissenschaft ehren, im Arkadenhof der Universität Wien lediglich eine einzige Frau: Marie von Ebner-Eschenbach, an die mittels einer Gedenktafel (und keiner Büste wie für zahlreiche männliche Kollegen) gedacht wurde. Im Rahmen eines Wettberwerbs wurden schließlich 2016 insgesamt sechs, von den Künstler*innen Thomas Baumann, Catrin Bolt und Karin Frank gestaltete Denkmäler, nämlich für die Psychologin Charlotte Bühler, die Sozialpsychologin Marie Jahoda, die Kernphysikerin Lise Meitner, die Archäologin Grete Mostny-Galser, die Romanistin Elise Richter und die Mathematikerin Olga Taussky-Todd, errichtet.4
Frauenzentrum der Stadt Wien
Das Frauenzentrum der Stadt Wien bietet Unterstützung und Informationen durch Psychologinnen und Sozialarbeiterinnen sowie rechtliche Erstberatung durch Juristinnen zu den Themen Scheidung, Trennung, Obsorge, Kontaktrecht und Unterhalt. Die Beratung ist für alle Frauen in Wien, vertraulich und kostenlos sowie auf Wunsch anonym.5
Maria-Theresien-Denkmal
Das Maria-Theresien-Denkmal befindet sich auf dem Maria-Theresien-Platz zwischen Kunsthistorischem und Naturhistorischem Museum und wurde im Jahr 1888 am Geburtstag der Herrscherin enthüllt. Unter Maria Theresia wurde 1774 die allgemeine Schulpflicht für Mädchen und Buben vom sechsten bis zum zwölften Lebensjahr eingeführt.6
Mädchenrealgymnasium
Eugenie Schwarzwald (1872–1940) war eine Pionierin der der Mädchenbildung. Die Schulreformerin übernahm 1901 das Mädchenlyzeum 1 am Franziskanerplatz 5 und führte diese ab 1911 als achtklassiges Mädchenrealgymnasium, das später seinen Standort in der Wallnergasse 9/Herrengasse 10 hatte. Die Schule war die erste Österreichs, an der Mädchen die Matura ablegen konnten.
Als zentrale Ideen von Schwarzwalds Pädagogik fungierten Gewaltfreiheit und Kreativitätsförderung, sie stand mit Maria Montessori im Austausch.
1928 emigrierte Schwarzwald in die Schweiz, ihr Besitz wurde von den Nationalsozialisten verkauft, die Schule gesperrt. Im 22. Wiener Gemeindebezirk ist der Eugenie-Schwarzwald-Weg nach ihr benannt.7
Gedenktafeln für Bertha von Suttner
Bertha von Suttner war Journalistin und Schrifstellerin und erhielt 1905 als erste Frau den Friedensnobelpreis, sie selbst hatte zur Stiftung desselben angeregt. Sie begründete zahlreiche Friedensgesellschaften, setzte sich für Frieden ein und kämpfte gegen Frauenunterdrückung und Antisemitismus. 1899 erschien ihr weltberühmter Roman „Die Waffen nieder!“, der in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde.8
Im Jahr 1966 kam das Bild von Bertha von Suttner auf den 1000-Schilling-Schein. Die Abbildung auf Geldscheinen als Zahlungsmittel impliziert Sichtbarmachung und eine Form der offiziellen Anerkennung, die nicht vielen Frauen zuteil wird. (Eine weitere, vertiefende Auseinandersetzung mit dieser Thematik bietet die Methode „Geschlecht und Geld“.)
Das Wohn- und Sterbehaus von Bertha von Suttner in der Zedlitzgasse 7 enthält zwei Gedenktafeln: ein Portraitrelief, das auf die Verleihung des Friedensnobelpreises an Bertha von Suttner verweist, sowie eine zweite, die folgende Inschrift enthält:
Hier lebte und starb
Bertha von Suttner
*9.6.1843–+21.6.1914
Die Gründerin der
Österreichischen
Friedensgesellschaft
Dr. Maria Schaumayer Stiftung: http://schaumayerstiftung.net/cgi-bin/view.cgi?page=home↩
Vgl. Wien Geschichte Wiki: Maria Schaumayer: https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Maria_Schaumayer; Dr. Maria Schaumayer Stiftung: http://schaumayerstiftung.net/cgi-bin/view.cgi?page=home; Hodoschek, Andrea: Nationalbank: Neues Direktorium wieder reiner Männerclub. Kurier, 4.2.2019: https://kurier.at/wirtschaft/nationalbank-neues-direktorium-wieder-reiner-maennerclub/400396679; Homepage der Oesterreichischen Nationalbank: https://www.oenb.at/↩
Vgl. Informationen auf der Homepage der Universität Wien: https://geschichte.univie.ac.at/de/artikel/der-muse-reichts↩
Vgl. Universität Wien monuments: Denkmal von Ebner-Eschenbach: https://monuments.univie.ac.at/index.php?title=Denkmal_Marie_von_Ebner-Eschenbach; Universität Wien: Wissenschafterinnen im Arkadenhof: https://www.univie.ac.at/ueber-uns/auf-einen-blick/wissenschafterinnen-im-arkadenhof/↩
Vgl. Beratungsstelle der Stadt Wien: https://www.wien.gv.at/menschen/frauen/beratung/frauenzentrum/↩
Vgl. z. B. Informationen Wien Geschichte Wiki: Stichwort Maria-Theresien-Denkmal: https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Maria-Theresien-Denkmal; Stichwort Frauenbildung: https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Frauenbildung↩
Vgl. Österreichische Nationalbibliothek: Frauen in Bewegung 1848–1938. Privat-Mädchenlyzeum der Eugenie Schwarzwald: https://fraueninbewegung.onb.ac.at/node/537; Wien Geschichte Wiki: Eugenie Schwarzwald: https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Eugenie_Schwarzwald; weiterführende Literatur: Streibel, Robert (Hg.): Das Vermächtnis der Eugenie. Gesammelte Fueilletons von Eugenie Schwarzwald 1908–1938. Wien: Erhard Löcker 2017; Holmes, Deborah: Langeweile ist Gift. Das Lebn der Eugenie Schwarzwald. St. Pölten, Salzburg, Wien: Residenz 2012.↩
Zu Bertha von Suttner vgl. z. B.: Hamann, Brigitte: Bertha von Suttner. Ein Leben für den Frieden. München, Zürich: Piper Verlag 1986 bzw. Wien Geschichte Wiki, Personen: Berta von Suttner: https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Bertha_von_Suttner↩
Eine weiterführende Diskussion, eventuell auch in einem Folgeworkshop kann ausgehend von folgenden Fragen angeregt werden:
Welche Denkmäler fallen euch im Zusammenhang mit dem Themenkomplex Geschlecht/Wirtschaft/Geld/Ökonomie noch ein?
Welchen weiteren in diesem Kontext stehenden Personen würdet ihr noch Denkmäler errichten?
Wie könnten diese aussehen und wo könnten sie stehen?